Anja Roß
Figur und Farbe
Werkstattgespräche zwischen den Künstlerinnen Margarete Weidling Roehse und Dagmar Schulze Roß
Beide Künstlerinnen gehören zu den wenigen Frauen, deren Werke im öffentlichen Raum in Schleswig-Holstein vertreten sind. Sie standen bis zu ihrem Tod in einem produktiven künstlerischen Austausch. Ihre Werk- und Wirkungsgeschichte sowie ihre Biografien ähneln sich in manchem. Vielleicht nicht zufällig. Ist ihre Entwicklung typisch für Künstlerinnen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts?
Übereinstimmungen gibt es bei den Studienjahren in der unmittelbaren Nachkriegszeit ab 1949: Margarete Roehse besucht die Bildhauerklasse von Carl Trummer an der Kunstakademie Karlsruhe, Dagmar Schulze studiert Malerei bei Willi Baumeister an der Akademie Stuttgart. Es ist eine große Aufbruchsstimmung nach dem Krieg, in der die Kunst einen zentralen, sinnstiftenden Wert erhält.
Roehse lernt den Architekten Weidling kennen, den sie 1950 heiratet, das Paar bekommt im gleichen Jahr die erste von zwei Töchtern. Dagmar Schulze trifft bei Baumeister auf ihren späteren Mann Alfred Roß. Erst als die beiden Maler ihre ersten Aufträge in der Kunst am Bau bekommen, wagen sie es 1963 eine Familie zu gründen und es gelingt ihnen sogar eine Zeit lang erfolgreich, ihre beiden Töchter als freie Künstler zu ernähren, Beruf und Familie miteinander zu verbinden.
In diese Zeit fallen ebenso die ersten öffentlichen Aufträge für Margarete Weidling-Roehse. Ihre private Situation ist jedoch zeitversetzt zunächst anders. Ab 1960 geschieden, beginnt sie, mit Unterstützung von Dagmar, Alfred und ihrem Umfeld, sich als Künstlerin eine eigenständige Existenz aufzubauen: Sie gestaltet Brunnen in Altersheimen und Schulen wie in Rendsburg Nobiskrug. Es sind die Wirtschaftswunderjahre, die Jahre des Wiederaufbaus. Viele Künstler leben davon, dass die Kunst beim Bau von öffentlichen Gebäuden gefördert wird. Und dann kommt der Bruch. Die Auftragslage wird allgemein schlechter. Beide Künstlerinnen müssen sich in den 1970ger Jahren pädagogische Brotberufe suchen. Die Ehe geht auch beim Malerpaar Schulze-Roß auseinander. Margarete und Dagmar müssen jeweils ihre zwei Töchter allein erziehen.
Und dennoch halten sie eisern an ihrer Kunst fest. In dieser schwierigen Zeit beginnt die Freundschaft zwischen den Künstlerinnen für beide essenziell zu werden: Sie leben in Kiel nach wie vor in unmittelbarer Nachbarschaft, besuchen sich regelmäßig. Margarete Weidling Roehse beginnt mit Emaille zu experimentieren. Die Bildhauerin fängt an, für sich Farbe und Fläche zu erobern. Ihre vorher vollplastischen Figuren bannt sie nun ausdrucksstark auf Kupferplatten. Nachdem Dagmar eine Zeit lang neben ihrem Brotberuf Kinderporträts gemalt hat, werden die Menschen nun zu abstrakten Figuren, die aus den differenzierten Farbstimmungen auftauchen, schemenhaft, zeichenhaft und sie erinnern damit ein wenig an Margaretes Emailleplatten. Die beiden Künstlerinnen kommen von unterschiedlichen Seiten, die Bildhauerin Margarete von der Form, von der Figur, die Malerin Dagmar ganz aus der Farbe. Für beide wird der künstlerische Austausch fruchtbar. In ihren regelmäßigen Werkstattgesprächen geht es konkret um die Stimmigkeit von Farb- und Formkompositionen. Diese kritischen Gespräche sind konstruktiv: Was kann noch besser werden? Jede für sich noch zu sehr befangen im eigenen Prozess kann durch den fremden, unbefangenen Blick der Kollegin einen inneren Abstand zum eigenen Werk erlangen. Schwachpunkte erkennen und korrigieren. Ist es eine typisch weibliche Art des künstlerischen Austauschs, im Gespräch miteinander zu sein, sich gegenseitig anzuregen und letztlich doch jede für sich dann wieder allein weiterzuarbeiten? Danach geht jede zurück ins eigene Atelier, die eine an die Staffelei, die andere schiebt ihre Emailleplatten erneut in den Ofen. Gespannt, wie sie wieder herauskommen.
Die Neugier, der experimentelle Umgang mit dem Material eint diese beiden Künstlerinnen. Für Magarete Weidling gilt dies noch mehr: Es reizt sie gerade den zwar durchaus steuerbaren Prozess des Brennens durch Experimente so zu verändern, dass neue, nicht vorhersehbare Effekte entstehen. Das Material arbeitet für sich, wenn es durchs Feuer geht. Und die Überraschung über das Ergebnis ist oft groß. Die Herausforderung besteht darin, darauf zu reagieren. Ist das gut, was beim Brennen entstanden ist oder muss es überarbeitet werden? Durch den mehrfachen Brennvorgang bricht manchmal die sonst glatte Emailleoberfläche auf, wird geradezu reliefartig.
Was macht das Besondere der Emaille-Arbeiten von Margarete Weidling Roehse aus? Wie wirken sie auf uns, die Betrachter? Manche frühe (?) Emailles erinnern noch an ihre bildhauerischen Arbeiten: ein sitzender weiblicher Akt, den hellen Kopf dem Betrachter zugewandt. Was ist es, das aus dem dunklen Blau des Hintergrunds am rechten Bildrand auftaucht? Auch eine Figur? Ein Baum? Dunkel, an manchen Stellen goldschimmernd? Es bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen.
Ihre Tochter Sabine Hübner schreibt über Margaretes Umgang mit dem Material: „Das Gold, das Magarete reichlich verwendet hat, z.T. auch dort, wo es nicht
deutlich zu sehen ist, war aufgelöstes Malgold von der Degussa, eine
schwärzliche Flüssigkeit, die erst beim Brand golden wird – auch ein großes
Faszinosum für Margarete. Als dünner Auftrag auf anderen Farben sorgt es für
Schimmer.“ Diese Faszination im Umgang mit Gold und dem dadurch entstehenden „Schimmer“ eint die beiden Künstlerinnen. Dagmar erreicht dies noch in ihren letzten Bildern durch Blattgold, das sie in Kollagen mit Seide überzieht.
Weidling Roehse arbeitet mit den uralten Gesetzmäßigkeiten bildnerischen Gestaltens und greift sie mit sehr eigenen Mitteln neu: Eine einzelne Figur von hinten – neben ihr ein abstrahierter Baum – blickt über ein Geländer in neblige Ferne. Dieser Blick nimmt uns mit wie bei Caspar David Friedrich. Auf einer anderen Platte drei Figuren im Gespräch, die Köpfe einander zugewandt. Oder die drei Goldenen vor leuchtendem Ultramarin, die zu tanzen scheinen, gestikulieren und durch ihre Gesten miteinander und zu uns sprechen. Ganz anders dann jene Dreiergruppe, die sich aufteilt: Zwei einander zugewandt, nur angedeutet eine Umarmung, die andere steht allein daneben, wie zum Fortgehen abgewendet. Sie erinnern entfernt an die urbildlichen Figuren eines Munch in all ihrer emotionalen Aufladung und berühren uns. Weiß sind diese Figuren vor schimmerndem Hintergrund. Sie bewegen sich wie auf einem Drahtseil, von dem jede abstürzen könnte. Zwischen ihnen aufgebrochene Blasen vom hohen Brand. Und dann wieder jene einzelne rote Figur, in deren Farbe das Feuer des Brandes noch nach zu glühen scheint. Auch sie sieht so aus, als würde sie sich abstützen müssen, die aufglänzenden Formen unten links und oben rechts am Bildrand geben der Figur Halt, die in einen mittelblauen Raum hineinsieht, der eigenartig weit wirkt, obwohl die Platte nur sehr schmal ist. Figur und Farbe, abstrakte Formen im Umraum sprechen, korrespondieren miteinander.
Zum Schluss jene geradezu unheimliche einzelne Figur, die aus kühlem Zoelinblau zu kommen scheint, aus dem rötlich-weiß etwas wie Schnee herabfällt. Warum wirkt diese Figur so unheimlich? Ist es der mächtige Körper, der durch einen riesigen Umhang an Wucht und Größe gewinnt mit dem vergleichsweise dazu im Kontrast klein wirkenden Kopf? Ist es diese seltsame Geste, mit der die Figur in die aufstrebende abstrakte Form am linken Bildrand greift, die mit der rechts den Bildrand ebenso begrenzenden Form korrespondiert? Wird da eine Tür einen Spalt geöffnet? Wohin geht die Figur? Geht sie in dieses kalte Blau im Hintergrund? Oder kommt sie daher und geht auf uns zu? Eine Spur führt von ihr deutlich zu uns, zum unteren Bildrand. Hier entsteht in der farbigen Fläche sogar wieder ein Raum, eine imaginäre Tiefe. Und es ist unserer eigenen Phantasie überlassen, wie wir diese Figur deuten, bei jedem trifft sie auf eigene Emotionen oder Assoziationen. Keine dieser Figuren aber lässt uns kalt, unberührt zurück. Wenn wir uns dem zu öffnen.
Dazu sind nicht alle bereit. Man muss genau hinsehen lernen. Es zulassen, dass man selbst als Betrachter aktiv werden muss, ein Teil des Prozesses wird. Diese Bildplatten springen einen nicht plakativ an mit einer klar umrissenen Bedeutung, die sich aufdrängt. Sie lassen uns frei. Es hängt von uns ab, ob wir bereit sind, uns darauf einzulassen. Aber wenn sie uns gepackt haben, lassen sie uns zugleich nicht mehr los: Wir können immer Neues daran entdecken.
Margarete Weidling Roehse wie auch Dagmar Schulze Roß haben nach ihren Erfolgen in der öffentlichen Kunst am Bau im Kunstbetrieb zunächst Neid, dann Gleichgültigkeit, ja Ignoranz erfahren. Und sie haben als Kolleginnen immer wieder zueinander gestanden, wenn beide etwas eingereicht hatten und abgelehnt wurden. Das ließ sich gemeinsam etwas leichter ertragen. Warum diese Ablehnung? Sie steht in einem seltsamen Kontrast zu der hohen Wertschätzung, die nun nach dem Tod der Künstlerinnen von Kennern der Kunst ihren Werken entgegengebracht wird. Das beginnt sich niederzuschlagen in Ankäufen von Museen und Galerien. Ja, die Wirkungsgeschichte dieser beiden Künstlerinnen ist leider immer noch typisch für die nur in Teilen emanzipierte Welt am Ende des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts. Es ist eine traurige Tradition, dass Künstler und mehr noch Künstlerinnen oft zu Lebzeiten nicht gebührend Beachtung finden, verkannt werden. Ist es nicht Zeit, endlich damit zu brechen?
Dr. Anja Roß
Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin
www.anjaross.de
1.: Vgl. Jan Petersen: Frau am Bau – Wo sind die Künstlerinnen? In: Schleswig-Holstein 02/2019, vgl. auch Ders. www.sh-kunst.de